Wissen: Spaltung - Abspaltung - Spaltungsabwehr

Wenn die Seele nicht mehr weiter weiß...

Wissen Psychologie: Spaltung - Abspaltung - Spaltungsabwehr

Einleitung: Persönlichkeitsentwicklung

Wie wir uns als Persönlichkeit entwickeln, wird - neben unseren  Anlagen - maßgeblich von  Umwelteinflüssen und Erziehung geprägt. Die elterlichen Bezugspersonen nehmen hierbei eine Schlüsselrolle ein und prägen unseren Charakter bereits in den ersten Lebensjahren sehr nachhaltig durch ihr Verhalten in der Familie.

 

Werden Gefühle stark verletzt, kommt es zu einem - als unangenehm empfundenen - Denk- und Gefühlszustand (kognitive Dissonanzen), manchmal sogar zu einem regelrechten Trauma. Der Betroffene versucht die verletzten Gefühle und / oder Traumata zu verarbeiten. Gleiches erfolgt auch bei der Verarbeitung kognitiver Dissonanzen an sich (siehe Wirkungsprinzip der kognitiven Dissonanz-Reduktion) wozu auch selbstwertdienliche Verzerrungen gehören. Die besagte Verarbeitung ist wichtig für die Aufrechterhaltung des eigenen Selbstwertes und geschieht in der Regel unbewusst.  

 

Der besagte Verarbeitungsprozess ist bei unreifen Kindern, die nur zwischen "gut" und "böse" unterscheiden, noch recht primitiv. Anstelle anderer Mechanismen kann es bei einem als unerträglich empfundenen Gefühlszustand (z.B. bei starken Verletzungen) zur sogenannten Abspaltung kommen: 

Das Grundprinzip der Spaltung / Spaltungsabwehr
Als Spaltung oder Spaltungsabwehr bezeichnet man einen psychischen Abwehrmechanismus, um sich in Bezug auf einen unzumutbaren Gefühlszustand selbst zu ertragen und den eigenen (ggf. verletzten bzw. geschädigten) Selbstwert aufrechtzuerhalten.

 

Die Funktion ist recht einfach: Um schmerzhaften Ballast abzuwerfen, schieben wir schmerzliche Erfahrungen ins seelische "Off" - und das ist vom Prinzip her eigentlich erst mal gut. Denn dieser seelische Abwehrmechanismus, der als 'Verdrängung' bezeichnet wird, verbannt belastende, schmerzliche, unangenehme Erinnerungen, Gedanken und Wünsche aus unserem Bewusstsein. Es kommt zu deren Ausblendung und Abschiebung ins Unbewusstsein. Der Mechanismus dient der Abwehr einer unerträglichen Vorstellungen vom eigenen Selbst (oder von Objekten) auf der Basis der Vorstellung, dass es in Bezug auf das Selbst nur "gut" und "böse" gibt.

 

Anstatt alternativ zum Beispiel ablehnende Gefühle einer eigentlich geliebten Person gegenüber zu empfinden, wird das Bild dieser Person in einen „guten“ und in einen „bösen“ Anteil gespalten. Im Inneren kommt es zur Spaltung des Selbst in positive Selbstaspekte und negative Vorstellungen vom Selbst.

 

Die in der Kindheit zumeist über die Eltern (früh: Die Mutter) erzeugten Selbstzweifel (oder gar Selbsthass) erzeugen derart starke kognitive Dissonanzen, dass im Zuge des Wirkungsprozesses der kognitiven Dissonanz-Reduktion (wie bei der selbstwertdienlichen Verzerrung bei Erwachsenen) das eigene Selbst dadurch "gerettet" wird, dass die als negativ empfundenen Aspekte (bei unreifen und damit primitiveren Abwehrmechanismen) abgespaltet werden - zum Beispiel wenn die Verarbeitung eines Individuationskonfliktes scheitert, zum Beispiel durch ein unberechenbares, ablehnendes, unempathisches, kränkendes oder ungeduldiges Verhalten der Mutter). Es kommt zu künstlich erzeugten unrealistischen (ggf. phantastischen) Vorstellungen vom eigenen Selbstbild, von der Objektwelt und den Beziehungsrepräsentanzen.

 

Folgendes kann eintreten:

- Verleugnung
- Projektion

- Entwertung

- Idealisierung

- Projektive Identifikation

Negative Seite der Spaltung

Doch nicht immer ist solch eine Verdrängung und Auslagerung vom Bewusstsein ins Unterbewusstsein gut: Leider wird das rechte Maß zwischen Loslassen und Festhalten, zwischen Erinnern und Vergessen, zwischen dem Drang, Impulsen nachzugeben und der Notwendigkeit, sie zu unterdrücken, zwischen Vergegenwärtigen und Verleugnen oft bei Weitem überschritten, so dass sich die Betroffenen eine regelrechte Scheinwelt errichten, an die sie schließlich glauben und daran festhalten und immer so weiter machen.

 

Manchmal führen die - dem Selbstschutz dienenden - Umdeutungen des Selbst oder Anderer dazu, dass Phantasien zu einer neuen Realität werden (siehe Realitätsverlust und Realitätsleugnung / Verleugnung) und quasi eine Lebenslüge gelebt und aufrechterhalten wird, die bis hin zur Pseudologie / Mythomanie reichen kann. Einigen Betroffenen wird dies zwischendurch bewusst und dann schnell wieder verdrängt; Andere hingegen leben in ihrer Phantasie- Lügen oder -Selbstbetrugs-Welt, ohne, dass ihnen dies bewusst ist bzw. bewusst wird. Hinweise von außen werden als störend oder sogar bedrohlich empfunden, so dass es zu starken Reaktionen kommen kann.

 

Plastische Beispiele

Sehr schön dargestellt wird das Prinzip der Spaltung / Abspaltung in der US-amerikanischen Gaunerkomödie "Catch Me If You Can (engl.: Fang mich, wenn du kannst) aus dem Jahr 2002. Die Filmbiografie basiert auf Begebenheiten im Leben des Frank Abagnale - im Film verkörpert von Leonardo DiCaprio - und dem entsprechenden Roman von Stan Redding.

 

Der junge Frank Abagnale, der seinen vermeintlich "erfolgreichen" Vater als Vorbild hat und durch diverse Negativentwicklungen (gesellschaftliches Abrutschen des Vaters, Scheidung, neuer Mann der Mutter) schwer traumatisiert wird, lässt das für ihn seeluisch unerträgliche Familien-Vorbild-Versagen hinter sich, setzt sich ab und flüchtet sich im Zuge der Abspaltung in typische "erfolgreiche Berufe", die er selbst nie gelernt hat.

 

Frank Abagnale spaltet seine Vergangenheits-Persönlichkeit ab und ersetzt diese durch komplett andere Persönlichkeits-Typen, die er erfolgreich lebt, aber immer auf der Flucht vor der Wahrheit bzw. der Realität, die ihn irgendwann einholt. Witzig daran ist, dass Frank Abagnale eigentlich ein Kind bzw. jugendlicher Schüler ist, sich aber durch das Hineinschlüpfen in die Rolle, sein neu erfundenes Selbstbild und das davon irgendwann selbst" überzeugt sein" als  "Pilot", "Arzt" und "Jurist" tatsächlich erfolgreich etabliert. Dies als Beispiel dafür wie stark die Spaltung / Abspaltung wirkt, die durch ein Mental-Training mit entsprechenden Glaubenssätzen und Visualisierungs-Techniken auch künstlich erzeugt werden könnte z.B. um eine unangenehme oder erfolglose Vergangenheit hinter sich zu lassen und bestimmte Ziele zu erreichen.

 

Ähnlich kann es sein, dass ein ängstlicher oder devoter Mensch, die Rolle eines mutigen bzw. dominanten Menschen annimmt und andere Menschen unbewusst ggf. genau so oder ähnlich traumatisierend behandelt wie er oder sie es in der eigenen Kindheit / Jugend selbst oder ähnlich erfahren hat. So schlüpfen manche ggf. selbst in die Rolle des traumatisierenden Täters und werden unbewusst selbst zu Tätern.

 

Ein klassisches - aber extremes - Beispiel dafür stellt die Rolle des Norman Bates in Alfred Hitchcock´s  Film „Psycho“ dar, der auf einem Roman von Robert Bloch basiert, der selbst aber noch ganz andere Hintergründe aufzeigt, die im Film nicht erwähnt werden, was als Beispiel für "Spaltung" aber nicht relevant ist. Zeitweise verfällt der sehr zuvorkommende Motel-Besitzer Bates in die Rolle seiner toten eifersüchtigen Mutter, für die er stellvertretend Frauen tötet, die er sympathisch oder attraktiv findet, den abgespaltenen Teil der dominanten Mutter-Persönlichkeit, die ihn traumatisiert hat, aber eifersüchtig machen -  und daher aus dem Leben des Sohnes - bzw. dem anderen Teil seiner Persönlichkeit - (auch aus moralischen Gründen) "verschwinden" müssen. Im Roman von Bloch sind die Hintergründe - wie gesagt - aber etwas anders. 

 

Ein anderes Beispiel für "Spaltung" - hier mit Wirkung in die entgegengesetzte Richtung - stellt das sogenannte Stockholm-Syndrom dar, bei dem es sich ebenfalls um einen psychologischen Effekt zur Bewältigung traumatischer Ereignisse handelt, die den eigenen Selbstwert gefährden und das eigene Weltbild in Frage stellen.

 

Gären und eitern verdrängter Bewusstseinsinhalte

Ebenso kann es vorkommen, dass verdrängte Bewusstseinsinhalte weiter 'gären' und im übertragenden Sinne 'eitern' (pathologische Dimension). Denn die verdrängten Bewusstseinsinhalte, sind nicht wirklich vergessen und erledigt. Sie sind lediglich dem Zugriff des Bewusstseins entzogen und wurden quasi in den seelischen Untergrund verschoben.

 

Dort arbeiten sie im Verborgenen weiter und lösen unter Umständen massive Ängste, Verhaltensstörungen, Blockaden und depressive Zustände aus. Wir werden dann krank. Alternativ können über Gefühlsausbrüche kurzfristig Verhaltensweisen zutage treten, bei denen der Betroffene bei Stress bzw. entsprechenden Trigger-Reizen plötzlich in die Rolle des Täters schlüpft bzw. den Verhaltensweisen des Täters verfällt, der für das Trauma des Betroffenen ggf. verantwortlich ist.  (Siehe Beispiel Norman Bates in Hitchcock´s Film Psycho). Bewusst ist diese zumeist kurzfristige Wesensänderung den Betroffenen nicht. Das Verhalten entspringt dem Unterbewusstsein und basiert auf entsprechenden Erfahrungen bzw. Erinnerungen, die zudem ja schließlich (zwangsweise) "gelernt" bzw. sozialisiert - zum eigenen Selbstschutz aber dann abgespalten  - wurden.  

 

Selbstschutz / Seelische Abwehrmechanismen

Das Spektrum seelischer Abwehrmechanismen ist weit gespannt. Es reicht von der "Müllabfuhr" in Form des alltäglichen Verdrängens bis hin zu schwerwiegenden psychischen Erkrankungen. Wie übermächtig, bedrohlich und lebensfeindlich der Schutzmechanismus des Wegdrückens werden kann, zeigt sich eindringlich an Menschen, die Extremsituationen wie Kriegen, Katastrophen, schwerer Gewaltanwendung, Folterungen und massiver Todesangst ausgesetzt waren. Derartige traumatische Erlebnisse können die Psyche so sehr überfluten und überfordern, dass sie jegliche Erinnerung an das Geschehen verweigert und aus dem aktiven Bewusstsein verbannt.

 

Dissoziation: Abspaltung zum Selbstschutz
Um sich vor dem Schmerz des Erinnerns zu bewahren, spaltet die Seele das auslösende Erlebnis vollständig ab. Der Preis für dieses Rettungsmanöver, im Fachjargon Dissoziation genannt, ist hoch: Viele traumatisierte Menschen leiden (neben dem Stress, eine neue Rolle zu spielen bzw. zu leben) unter Angstattacken, sozialer und emotionaler Isolation sowie zeitweiligem Realitätsverlust. Ggf. stumpfen sie ab, erleben sich als vollkommen hilflos, gefühlstaub, ausgebrannt, entwickeln starke Suchtneigungen und verweigern jede aktive Auseinandersetzung mit ihrer Situation, so dass nur eine tiefenpsychologische Psychotherapie (Psychoanalyse oder Traumatherapie) noch helfen kann.

 

Schwieriger wird es bei jenen, die ihre neue Rolle nach Abspaltung derart verinnerlicht haben, dass sie selbst derart davon überzeugt sind, dass sie niemand mehr davon abbringen kann. Die neue Rolle wird zu einer scheinbar neuen Persönlichkeit ohne Auffälligkeiten bzw. Zweifel daran. Doch in der Tiefe gärt der abgespaltene Teil des ICH mit dem unverarbeiteten Trauma immer weiter.