Einleitung
Menschen fühlen sich glücklich und gesund, wenn sie Kontrolle über ihr Leben haben - oder zumindest das Gefühl der Kontrolle haben. Das liegt daran, dass wir zumeist denken bzw. annehmen, dass
alles erklärbar ist und folglich alles erklärbar sein muss.
Ereignisse, die wir uns weder erklären, noch selbst unmittelbar beeinflussen können, mögen wir daher gar nicht.
Im tiefen Inneren machen sie uns Angst und erzeugen ein unterschwelliges Gefühl der Hilflosigkeit, das insbesondere jene Menschen irritiert und beunruhigt, die aufgrund eines besonders stark bis überzogen ausgeprägten Selbstwertgefühls, das bei einigen Menschen sogar bis zum sogenannten Gott-Komplex reichen kann, der Überzeugung sind, dass sie selbst oder der Mensch an sich in Bezug auf Ursache und Wirkung so ziemlich als im Griff - und die volle Kontrolle über sich und seine Umwelt - hat. Menschen mit einem Kontrollzwang sowie kontrollierende-bestimmende Persönlichkeiten leiden besonders unter Ereignissen, die sie sich weder erklären, noch selbst unmittelbar beeinflussen können.
Wenn wir uns unvorhergesehene Ereignisse, die sich unserer Kontrolle entziehen, wenigstens irgendwie logisch erklären können, weil wir z.B. Ursache und Wirkung kennen, behalten wir zumindest das Gefühl der Kontrolle, haben ein bestimmtes Kontrollempfinden und bleiben dadurch in der Lage, bestimmte Voraussagen zu treffen. Selbst wenn derartige Voraussagen, nach denen wir stetig streben, sehr theoretisch und wage sind, so haben wir wenigstens das Gefühl, in ein Ereignis eingreifen und es irgendwie zu unseren Gunsten beeinflussen zu können.
Wenn wir aber weder einen Einfluss auf ein Ereignis haben, noch eine Erklärung für das Ereignis finden, bekommen wir den Eindruck, einer unerklärlichen Willkür ausgeliefert zu sein. Das Gefühl, die völlige Kontrolle verloren zu haben, würde zu einem derart unerträglichem Gefühl der Hilflosigkeit und einem derart starkem Zweifel am Leben führen, dass unser Gehirn es nicht zulässt und versucht, seinerseits die Kontrolle zurückzugewinnen.
Wenn uns die Kontrolle entgleitet folgt die Phantasie
Je mehr uns die Kontrolle entgleitet, desto stärker basteln wir uns mit Hilfe unserer Vorstellungskraft (= Phantasie) die wahnwitzigsten phantastischen Erklärungen für all das zusammen, was um uns herum oder mit uns geschieht. Diese phantastische Erklärungssuche kann bis hin zu Wahn-Ideen und paranoid anmutenden Phantastereien gehen. Selbst da, wo es keine gibt, sehen wir dann irgendwelche Zusammenhänge und "finden" regelrechte Muster, Systeme, Trends und Gesetzmäßigkeiten, obwohl es sich bei den besagten Ereignissen, die wir uns nicht erklären können, in Wahrheit um reine Zufälle oder um Chaos handelt.
Wir hören dann quasi geradewegs "die Flöhe husten" und "das Gras wachsen", erinnern uns an irgendwelche Bauernweisheiten oder an Aberglauben. Wir finden phantastische oder mystische Regelwerke (z.B. Schwarze Katze) oder glauben plötzlich an Gespenster und andere übersinnliche Phänomene.
Alternativ machen wir manche Menschen (Siehe Hexenwahn oder Judenhass) oder den Mensch an sich (z.B. in Bezug auf den sogenannten "menschengemachten Klimawandel") dafür verantwortlich. Hauptsache, es findet sich etwas, das wir als mutmaßlich bzw. maßgeblich ursächlich machen - oder als Feind ausmachen können, um die Vorstellung zu haben, die vermeintliche "Ursache" dann auch "bekämpfen" zu können.
Manchmal finden Menschen, die das Gefühl bekommen, die Kontrolle zu verlieren, dann plötzlich (wieder) an Gott oder flehen Schutzpatrone und Heilige an. Andere sehen hinter bestimmten Ereignissen, die sie sich nicht erklären können, sogar eine Verschwörung und bilden regelrechte Verschwörungstheorien.
Das Gleiche gilt selbst dann, wenn wir zwar eine Erklärung für ein Ereignis haben, wir diese Erklärung aber nicht akzeptieren wollen. In solchen Situationen puzzeln wir uns die abstrusesten Erklärungen zusammen und bilden uns daraus eine eigene völlig neue Logik. Dabei ist unser Gehirn äußerst kreativ.
Warum ist dies so?
Menschen brauchen möglichst Kontrollerlebnisse, die ihnen zeigen, dass sie prinzipiell alles unter Kontrolle haben. Fehlen derartige Erlebnisse, dann brauchen wir zumindest eine Erklärung. Fehlt eine entsprechende Erklärung, basteln sich unser Gehirn eine eigene "Erklärung" mit Hilfe kreativer Phantasien. Je mehr Kontrolle wir generell in unserem Leben haben (z.B. weil wir uns selbst und das Wesen anderer Menschen gut kennen, weil wir offen dafür sind - und einsichtig), desto eher sind wir in der Lage, uns mit Situationen und Ereignissen abzufinden, für die wir spontan keine Erklärung finden, weil diese letztendlich einzig und allein auf Chaos beruhen.
Wir denken stets, dass alles erklärbar ist und erklärbar sein muss. Vielleicht gibt es für manche Dinge aber gar keine Erklärung. Vielleicht gibt es aber auch eine ganz einfache, nahe liegende Erklärung, die wir einfach nicht wahrhaben wollen. Vielleicht liegt eine Erklärung aber auch einfach nur in der Natur, die auch ohne uns funktioniert Derartige Gefühle zuzulassen und auszuhalten, ist nicht nur eine fast übermenschliche Kunst, sondern in Wahrheit eine erlernbare Fähigkeit.
Zusammenhänge
Die Kontrollillusion ist ein sogenannter Wahrnehmungsfehler, von denen es unzählige Arten und Unterarten gibt. Wahrnehmungsfehler basieren auf unserer Wahrnehmung. Darunter versteht man (bewusste oder unbewusste) Aufnahme von Reizen (Informationen / Umwelt-Eindrücke) und deren Verarbeitung im Gehirn, wobei die mit Hilfe unserer Sinnesorgane (bewusst oder unbewusst) aufgenommenen Informationen mit bereits vorhandenen, abgespeicherten Daten (Erinnerungen) verglichen bzw. abgeglichen werden, woraus sich durch kreative Denkprozesse Veränderungen und eine eigene Realität formt.
Mit Hilfe unserer Vorstellungskraft (Phantasie) machen wir uns (durch Kombination vergangener Vorstellungen und Erfahrungen) ein eigenes, ganz individuelles Bild von einer Person, einer Sache oder einem Zustand. Dieses Bild ist jedoch zumeist weit ab von jeglicher Objektivität. Es ist quasi ein Phantasie-Produkt unseres Gehirns und basiert auf unzähligen Denkfehlern, die bewusst oder unbewusst erfolgen.
Je intelligenter und kreativer wir sind, desto kreativer, umfangreicher und interpretierter ist unsere Vorstellung, desto höher die Abweichung. Sowohl während des Beobachtungsvorgangs als auch bei der Verarbeitung der wahrgenommenen Informationen unterliegen wir unzähligen Fehlern. Auf diesen Fehlern basieren dann unsere weiteren Beobachtungen sowie unsere Beurteilungen und Entscheidungen.
Hinzu kommt die Erkenntnis, dass wir bei der Informationsverarbeitung auf bereits vorhandene Informationen (Daten) im Gehirn zurückgreifen, wobei dieser Prozess überwiegend intuitiv und unbewusst erfolgt. Nachfolgend sollen die Beobachtungs-, Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler sowie deren Wirkung (Täuschungseffekte) und Zusammenhänge dargestellt werden.
Einige dieser Fehler und Effekte haben ihre Ursache bereits in der Art und Weise der Beobachtung (Beobachtungsfehler), andere entstehen aufgrund von Denkprozessen im Gehirn (z.B. Perpetuierende Wahrnehmung). Einige Fehler und Effekte wirken persönlichkeitsbedingt (Persönlichkeitspsychologie), andere entstehen durch den (direkten oder indirekten) Einfluss anderer Menschen (Sozialer Einfluss / Sozialpsychologie) - sogar durch die reine Anwesenheit anderer Menschen oder lediglich durch die Vorstellung, das andere etwas mitbekommen.
Viele Wahrnehmungsfehler basieren auf unserer eigenen Persönlichkeit und unseren Einstellungen, Erfahrungen, Wünschen, Erwartungen und Bedürfnissen (z.B. Projektionsfehler, Erwartungsfehler). Einige verzerren die sinnliche Wahrnehmung an sich, andere verfälschen unsere Beurteilung (z.B. durch verschiedene Effekte und/oder falsche Maßstäbe).
Manchmal entspringen diese Fehler bestimmten Beobachtungs- und/oder Denk-Schemata, manchmal unseren Erwartungen oder unserem Glauben z.B. dem Glauben an die eigene Überlegenheit. Manchmal entspringen sie aber auch unserer eigenen Kreativität und Vorstellungskraft (Phantasie). Dann entsteht ein regelrechtes kreativ geformtes, selbst konstruiertes eigenständiges Phantasiebild.
Die Kontrollillusion in Verbindung mit dem Attributionsfehler
In gewisser Hinsicht steht die Kontrollillusion in Verbindung mit dem sogenannten Attributionsfehler (auch Fundamentaler Attributionsfehler genannt). Auch hier werden einfache Lösungen angezweifelt. Stattdessen wird etwas Komplexes dahinter vermutet. Was sich Menschen nicht erklären können, weil sie anders denken, kann und darf ihrer Auffassung nach, nicht so einfach sein wie es dargestellt wird.
Daher wird seitens des Menschen nach einer komplexen intelligenten Lösung gesucht, selbst dort, wo es gar keine komplexe oder intellektuell anspruchsvolle Ursächlichkeit gibt. Dies kann zu einem regelrechten Wahn und Irrglaube führen oder mit einem solchen in Verbindung stehen. Auch ist es möglich, dass ein solcher Wahn oder Irrglaube über den sozialen Einfluss auf andere Menschen symbiotisch übergreift.
In gewisser Hinsicht besteht die Gefahr einer Kontrollillusion auch in einem Zusammenhang mit dem z.B. aus der Psychiatrie bekannten "Rorschach-Test", schließlich erfolgt auch hier eine phantasiereiche "Entschlüsselung" von Bildern bzw. chaotischen Tintenkleksen, die jedoch von den Testpersonen mehr oder weniger phantasiereich interpretiert werden.
Wohlgemerkt soll dieser bekannte Test und andere Arten der psychoanalytischen Bildinterpretation hier keineswegs in Frage gestellt werden. Doch auch hier ist es möglich, dass bei dem ein oder anderen Merkmal eines Bildes eben keine tiefere Ursächlichkeit besteht, die zwingend auf irgendeine tiefer sitzende Angst oder andere Gefühle und Erfahrungen hindeutet.
Von der Kontrolle bis zum Kontrollzwang und anderen gefährlichen Auswüchsen
Infos zum Thema kontrollierende Persönlichkeiten